Von Wilhelm Tell wusste der Eidgenosse, was es bedeutet, eine verlangte Ergebenheit zu verweigern. Auch er wurde zu einem Handeln genötigt, das sich kritisch gegen das richtete, was ihm am Herzen lag – seine kirchliche Heimat. Küng selbst hat den Vergleich zur Reformation ins Spiel gebracht, ohne diesen Bezug für sich zu reklamieren. Der «evangelische Katholik», wie er sich selber nannte, hat auch im ökumenischen Dialog den Takt angegeben, weit voraus gedacht. «Wahres Christsein bedeutet heute ökumenisches Christsein», schrieb er in «Christ sein», wobei er die Ökumene immer weiter fasste. Bereits in seiner Dissertation argumentiert er für die Übereinstimmung zwischen der protestantischen und katholischen Rechtfertigungslehre. Die offiziellen Kirchen brauchten noch ein knappes halbes Jahrhundert, um zur gleichen Erkenntnis zu gelangen.
Wahrscheinlich ahnte der junge katholische Theologe damals nicht, wie sehr diese Arbeit, für deren Publikation Karl Barth ein Geleitwort verfasst hatte, die Zukunft seines Schaffens und das Verhältnis zu seiner Kirche bestimmten sollte. Es gibt wohl niemanden in der kirchlichen und theologischen Gegenwart, die oder der nicht in irgendeiner Weise, direkt oder indirekt, vom theologischen und ethischen Denken Küngs berührt und beeindruckt wurde. Sein Mut und sein Widerspruchsgeist werden der Kirche fehlen, über alle Konfessionsgrenzen hinweg, und gerade heute.
Wir sprechen seinen Angehörigen unser Beileid aus, mögen sie getragen sein vom Glauben, der auch Hans Küng in vielen seiner Werke bezeugte: «Christsein verwirklicht einen Humanismus, der nicht nur alles Positive, sondern auch alles Negative, Leid, Schuld, Sinnlosigkeit, Tod zu bewältigen mag aus einen letzten, unerschütterlichen Gottvertrauen heraus, das sich dabei nicht auf die eigenen Leistungen, sondern auf Gottes Gnade verlässt.» (Hans Küng, Credo)