Paul Vogt (1900–1984)
Flüchtlingspfarrer mit scharfem Blick für soziale Probleme und Brückenbauer zwischen Juden und Christen
Gertrud Kurz (1890–1972)
Flüchtlingsmutter und Symbolfigur der humanitären Tradition der Schweiz
«Gott hat zu verschiedenen Zeiten verschiedene Lazarusse vor die Kirchentüren und vor die Haustüren der Christenhäuser gelegt. […] Gott legt heute die Glieder des Volkes der Juden vor die Türen der christlichen Häuser und christlichen Kirchen.» (Vogt 1939)
Paul Vogt, aufgewachsen in Stäfa als Sohn eines Predigers aus Schlesien und geprägt durch sein pietistisches Elternhaus, wurde als Flüchtlingspfarrer bekannt. Lebenslang leitete ihn Christian Friedrich Spittlers Aufruf: «Nicht jammern, Hand anlegen!» Von 1922 bis 1926 studierte er Theologie in Basel, Tübingen und Zürich, wurde dann Vikar am Neumünster Zürich. Vogt war in den Folgejahren Pfarrer in Ellikon an der Thur und ab 1929 in Walzenhausen. Ausgestattet mit einem feinen Gespür für die Nöte der Menschen, setzte er sich schon früh für Benachteiligte ein. Mit Unterstützung von Freunden und der Gemeinde gründete er ein Hilfswerk für Arbeitslose im Kanton Appenzell Ausserhoden.
1933 rief Vogt dort das Sozialheim «Sonneblick» für Schulungskurse und Erholungsaufenthalte ins Leben. An diesem Ort wurde er schnell zur Anlaufstelle für Flüchtlinge aus dem «Dritten Reich», gab bereits 1935 Jüdinnen und Juden, die er nass aus dem Rhein und dem Bodensee fischte, Unterschlupf. Vogt hatte ein offenes Herz für die Menschen über Landesgrenzen hinweg und wurde zum Mitgründer der Schweizerischen Zentralstelle für Flüchtlingshilfe. Er war ein informierter und kritischer Akteur gegenüber der Schweizer Politik. Zusammen mit dem reformierten Theologen Karl Barth gründete Vogt 1937 das Schweizerische Evangelische Hilfswerk für die Bekennende Kirche in Deutschland (SEHBKD), um für Angehörige der Bekennenden Kirche materielle und theologische Hilfe zu leisten. Vor allem in seiner Pfarrstelle in Zürich-Seebach (ab 1936) war Vogt wegen seines Einsatzes für Verfolgte des Naziregimes nicht unangefochten. Die meisten offiziellen Repräsentanten der Kirchen billigten die Politik der Regierung stillschweigend oder ausdrücklich. Mit mutigen Briefen klagte Vogt bei den Behörden an, dass es keine legale Einreisemöglichkeit für Menschen gäbe, die so vor dem KZ gerettet werden könnten. Er erweiterte die Arbeit des SEHBKD um den Flüchtlingsbatzen und sammelte dafür bis zum Ende des Krieges 70 000 Spenderadressen. Vogt stiess auch die Freiplatzaktion an, mit der er ab 1943 Unterkünfte für mehrere hundert jüdische Flüchtlinge in jüdischen und christlichen Familien organisierte. So konnte er viele Kinder, Mütter, Betagte, Behinderte und Kranke unterbringen. Dabei überwand er auf beiden Seiten Vorurteile und Traumata.
Der Pfarrer reiste im Land umher, appellierte an das Gewissen und verbreitete die «furchtbare Wahrheit» über die Judenverfolgung. Im August 1942 berichtete der Flüchtlingspfarrer beispielsweise in einer Predigt in Thayngen, dass in Polen von insgesamt 4,2 Millionen Juden deren 3,9 Millionen ermordet worden seien. Entgegen der zurückhaltenden Staatsraison bekannte er sich zum Ungehorsam und scheute sich nicht, Juden zu verstecken. Schliesslich übernahm er von 1943 bis 1947 das Flüchtlingspfarramt in der Wasserkirche Zürich.
Nach dem Krieg setzte sich Vogt für ein Dauerasyl der verbliebenen Juden in der Schweiz und die Verständigung von Christen und Juden ein. Er plädierte für die Anerkennung des Staats Israel. Vogt gehörte zu den Gründern der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft, des Schweizer Kinderdorfs Kirjath Jearim in Israel und des Rehabilitierungszentrums «Best Hope» in Herisau.
«Er verstand sich – und damit sind wir beim theologischen Fundament Vogts – als Knecht seines Herrn, der sich für die Linderung von Leiden einsetzen muss, will und darf. Vogt neigte dazu, sich diesem Dienst mit allen ihm zur Verfügung stehenden Kräften hinzugeben.» Herrmann Kocher
«Wir können unser Dasein nur dadurch rechtfertigen, dass wir geben und geben (…), dass wir alles Schöne mit jenen teilen, welchen alles genommen wurde.»
Gertrud Kunz stammte aus Lutzenberg im Kanton Appenzell Ausserrhoden, wo sie in einer protestantischen und gesellschaftlich engagierten Textilfabrikantenfamilie aufwuchs. Ihre Mutter war Pietistin, ihr Vater freisinniger Politiker. Kurz heiratete nach Bern und bekam drei Kinder. Schnell wurde ihr Haus zur Anlaufstelle für Aussenseiter jeglicher Art. Noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs gründete sie nach dem Vorbild einer weltweiten ökumenischen Laienbewegung mit der «Kreuzritter-Flüchtlingshilfe» (heute: Christlicher Friedensdienst) ein privates Hilfswerk, das immaterielle und materielle Hilfe für all jene anbot, die bei den üblichen Werken vergessen gingen. 1938 trafen die ersten jüdischen Flüchtlinge in Bern ein. Kurz leistete unkomplizierte und schnelle Hilfe. Doch die jüdischen Flüchtlinge durften keinem Berufserwerb nachgehen. Die Staatsmacht wollte sie so zur Weiterreise drängen und schloss die Grenzen 1942 endgültig. Als Begründung gaben die Behörden einen überlasteten Arbeitsmarkt und Überfremdungsgefahr an. Kunz hielt dies in ihrer selbstlosen und pragmatischen Hilfe für Geflüchtete, die ihr den Namen «Mutter Kurz» eintrug, nicht auf. Ihre grösste Motivation war die christliche Nächstenliebe. Sie bot Geflüchteten Wohnraum und Geborgenheit, half allen, ungeachtet ihrer politischen oder konfessionellen Ausrichtung. Vor allem Frauen unterstützten Kurz Engagement mit Esswaren, Geld und Kleidern. Bis zu 30 Briefe beantwortete Kurz täglich, hatte ein offenes Ohr für die erschütternden Schicksale der Menschen unter ihrer Obhut.
Bei den Behörden intervenierte die Flüchtlingsmutter beharrlich und persönlich für offene Grenzen für Flüchtlinge. Sie scheute auch nicht, mit ihrem Appell gegen die Grenzschliessung dem damaligen Bundesrat Eduard von Steiger 1942 in die Ferien nachzureisen. Wenig später beschloss der Bundesrat eine vorläufige Lockerung der Grenzsperre.
Kunz sensibilisierte die Öffentlichkeit in zahllosen Vorträgen. Sie überzeugte mit Argumenten und Menschlichkeit, gab sich nicht als Rebellin. Die Appenzellerin war ein Organisationstalent und gut vernetzt, stand mit Karl Barth und Paul Vogt in Kontakt. Das Lebenswerk des Letzteren ist eng verbunden mit dem von Kurz. Viele ihrer Flüchtlinge konnte sie in den Sommerkursen des Heims Sonneblick unterbringen.
Kurz nahm als einzige Frau der Schweizer Delegation an der Gründungsversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam 1948 teil. In den folgenden Jahrzehnten setzte sie sich für ungarische und algerische Flüchtlinge ein, ihr Hilfswerk weitete die Arbeit in den Nahen Osten und in afrikanische Länder aus. In ihren öffentlichen Auftritten appellierte Kurz an die Verantwortung aller, sich gegen soziale Ungerechtigkeiten, Rassismus und Kolonialismus einzusetzen, die sie als Ursache von Krieg und Vertreibung sah. Zweimal wurde sie für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen, erhielt zahlreiche Auszeichnungen.
Nach ihrem Tod gründeten Freunde und u.a. Hans Ruh, damaliger Leiter des Instituts für Sozialethik des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, die Stiftung Gertrud Kurz, die bis heute Projekte zur Partizipation von Flüchtlingen unterstützt und die Schweizer Migrationspolitik kritisch begleitet. Der Christliche Friedensdienst hat sich zu einer feministischen Friedensorganisation weiterentwickelt.