Verglichen mit dem Vorjahr haben die evangelisch-reformierten Kirchen 30 Prozent mehr Mitglieder verloren. Diese Entwicklung ist Teil einer langfristigen Erosion der Kirchenmitgliedschaft, die auf strukturelle Faktoren und individuelle Entscheidungen zurückzuführen ist. Viele Mitglieder sind institutionell nur noch lose mit der Kirche verbunden, was diese Abwanderung begünstigt. Die Publikation der Pilotstudie zu sexuellem Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche hat eine Zunahme der Austritte bei den Reformierten zur Folge. Die mediale Präsenz hat manche an ihre Kirchenmitgliedschaft erinnert und den innerlich bereits vollzogenen Austritt umsetzen lassen. Doch wie Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, betont, darf die Schuld nicht nur bei anderen Institutionen gesucht werden. «Wir müssen uns noch intensiver der Herausforderung stellen, um für die Menschen, die nur noch lose mit der Kirche verbunden sind, relevant und glaubwürdig zu sein.»

Rita Famos: Eine kleinere Kirche, aber keine schwache Kirche
«Ja, die Kirche ist kleiner geworden – gemessen an der Mitgliederzahl», so Famos weiter. «Doch wenn wir über den gesellschaftlichen Wert und die Wirkung unserer Kirche sprechen, ist sie weiterhin gross.» Trotz der rückläufigen Zahlen bleibt die Kirche nämlich eine tragende Säule der Gesellschaft, vor allem aufgrund des Engagements ihrer Freiwilligen. Allein im Kirchengebiet der Reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn werden jährlich über 588’000 Stunden ehrenamtliche Arbeit geleistet, was einem ökonomischen Wert von über 31 Millionen Franken entspricht.

Auch der Bericht über die Beiträge der Religionsgemeinschaften im Kanton Zürich bestätigt die Bedeutung der Kirchen und Religionsgemeinschaften für das Gemeinwohl. Eine aktuelle Studie im Kanton Basel-Landschaft zeigt, dass die reformierten Landeskirchen über 524’000 Stunden an sozialen Leistungen erbracht haben, davon mehr als 398’000 Stunden von Ehrenamtlichen. Diese Arbeit hat einen geschätzten Wert von über 20 Millionen Franken.

Kirchliche Angebote für die Gesellschaft – auch ohne Mitgliedschaft
Die diakonischen, kulturellen und sozialen Angebote der Kirche erreichen Menschen in allen Lebenslagen: «Denken Sie an die Deutschkurse für Migrantinnen und Migranten, an kirchliche Orte, an denen Kaffee, eine Spielecke und ein offenes Ohr gegen die Vereinsamung helfen, oder an die oft eintrittsfreien Kulturveranstaltungen und Konzerte», führt Famos aus. «Ich denke auch die erfolgreichen Kurse ‘Letzte Hilfe’ in denen Menschen unabhängig ihrer religiösen Zugehörigkeit darüber sprechen, wie sie ihre Liebsten im Sterben begleiten können.  Hier engagieren sich nicht nur unsere Mitglieder, sondern auch viele, die der Kirche nicht mehr formell angehören, sich aber mit diesen Projekten verbunden fühlen.»

Zukunft der Kirche: Gemeinschaft und Engagement fördern
Die Evangelisch-reformierte Kirche wird sich weiterhin den gesellschaftlichen Herausforderungen stellen und neue Formen der Gemeinschaft fördern. «Unsere Aufgabe ist es, den Menschen, die sich von der institutionellen Kirche distanziert haben, weiterhin Räume des Austauschs, der Spiritualität und des Engagements zu bieten», so Famos abschliessend. «Denn die Kirche ist nicht nur eine Institution – sie ist eine lebendige Gemeinschaft, die durch das Engagement ihrer Menschen zeigt, dass sie den Herausforderungen unserer Zeit begegnet und in der Gesellschaft tief verwurzelt bleibt.»

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