In ihrer Frühlingstagung widmete sich die Frauen- und Genderkonferenz der EKS, erstmals unter neuem Namen, in Anwesenheit von 39 Teilnehmenden, dem Themenkomplex der weiblichen Erschöpfung. Nach der Eröffnung durch Ausschusspräsidentin Sabine Scheuter, ging Ruth Pfister in ihrem Grusswort aus dem Rat EKS auf die Forschungsergebnisse der Hauptreferentin Franziska Schutzbach ein. «Die Erschöpfung der Frauen ist ein Thema, das uns alle angeht», stellte sie fest und ermutigte die Anwesenden, krankmachende Machtstrukturen wahrzunehmen und künftig zu verändern.
Genderforscherin und Autorin Franziska Schutzbach referierte im Anschluss aus ihrem Buch «Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit.» und gab so einen Überblick zum aktuellen Stand der Forschung. Sie vermittelte, dass Carearbeit die unsichtbare Grundlage des Marktes ist und trotzdem bis heute nicht als wirtschaftlich relevant angesehen sondern herabgewürdigt wird. Immer noch ist Sorgearbeit weiblich konnotiert und eine Ressource, an der man sich bedient. Die Referentin untermauerte ihre Aussagen durch aktuelle Zahlen. So arbeiten Frauen in den USA durch Hausarbeit pro Jahr einen Monat mehr als Männer. Sorgearbeit wandert zudem wieder mehr ins Private, da ein Pflegenotstand herrscht und Wohlfahrtssysteme abgebaut werden. Frauen fungieren hier als «Sozialpuffer».
Schutzbach zeigte auf, dass traditionelle Erwartungen an Frauen unreflektiert wirksam sind. Es ist für viele kaum erreichbar, allen Rollenbildern in Berufswelt, Privatleben und Selbstverwirklichung zu entsprechen. Weithin bleibt die Dimension der gedanklichen Sorgearbeit (mental load) unsichtbar. Männer konsumieren Beziehungen eher, wohingegen Frauen ihr Verhalten auf Beziehungen abstimmen, weniger Zeit für sich haben und emotional ausgelaugter sind. Dabei hält die Referentin fest, dass gerade die emotionale Arbeit hochmoralisch konnotiert sei. Emotionale Verstrickungen und die Sinnhaftigkeit der Arbeit machen Abstand schwer. «Die Zuständigkeit für gelingende Beziehungen, für Sorgearbeit macht vulnerabel. Weil man nicht wie in anderen Jobs kündigen oder streiken kann.» Weltweit werden pro Tag 16,4 Milliarden Stunden unbezahlte Haus- und Familienarbeit geleistet – drei Viertel davon von Frauen. Der monetäre Wert dieser Arbeit in der Schweiz beträgt pro Jahr 248 Milliarden CHF. «Die Milliarden Stunden gratis oder unterbezahlte Sorgearbeit tragen, je nach Rechnung, bis zu 50 Prozent zur Bruttowertschöpfung bei. In den ökonomischen Mainstream-Lehren und BIP-Statistiken kommen sie jedoch nicht vor», erläuterte Schutzbach. Vor diesem Hintergrund seien statt Lohnvergleichen Vergleiche zum Lebenserwerbseinkommen sinnvoller (Mütter haben 62% weniger Lebenseinkommen als Väter).
Die Genderforscherin zeigte hier auf, dass das Wirtschaftssystem durch die Ausbeutung von Sorge und Beziehung seine eigenen Grundlagen zerstört. Sie kritisierte Thomas Hobbs Grundthese, dass Menschen immer in Konkurrenz zueinander stünden als ein maskulistisches Fantasma. Statt Profitmaximierung müsste die ökonomische Grundfrage sein: Was brauchen Menschen, damit es ihnen gut geht? «Wenn wir Sorge und Beziehung ins Zentrum unserer Gesellschaft und ökonomischer Überlegungen rücken, folgt daraus, dass wir allen Menschen die Zeit und die Ressourcen zur Verfügung stellen müssen, die für gelingende Sorgebeziehungen notwendig sind.»
In anschliessenden Podium (moderiert durch Gabriela Allemann) sprachen Nadja Boeck, Marie-Claude Ischer und Franziska Schutzbach vertieft über Gründe der weiblichen Erschöpfung und Wege hinaus. Ob im Selbstbild, der beruflichen und familiären Stellung, Frauen hätten immer noch den Anspruch, perfekt zu sein. Sie leisten mehr, um gleich erfolgreich zu sein wie Männer. Dem Erwartungsdruck stimmte auch die kürzlich zurückgetretene Präsidentin des Synodalrats Waadt, Marie-Claude Ischer, zu. Als Frau und nicht Ordinierte ermüdete sie an internen Strukturen. «Es war ein Spagat, ich wollte viel Verantwortung übernehmen.» Pfarrerin Nadja Boeck erlebt in ihrem Umfeld Ermüdung und Überforderung in Kirchgemeinden und Pfarrstellen: «Wir haben Angst, klein und unwichtig zu sein, das verstärkt die Bereitschaft, für alle verfügbar zu sein. Gleichzeitig wächst der Druck, innovativ sein zu müssen, was Gemeinden und Milizsystem überfordert.» Der von ihr initiierte Pfarrerinnen-Stammtisch entstand aus Widerstand gegen diese Erschöpfung. Schutzbach erinnerte in der Diskussion an männlich besetzte Gottesbilder und an die feministische Theologie, die wieder rezipiert werden muss. Auf die Maria- und Martha-Geschichte der Bibel angesprochen, reagierten die Podiumsteilnehmerinnen teils mit Ablehnung (keine Empowernment-Geschichte für Frauen), teils mit Verständnis. «Beide haben ihren Platz in der Nähe des Herrn. Ich bin mal die eine, mal die andere», so Ischer. Boeck schlug vor die Geschichte von Maria und Martha zu erweitern: mit Jesus auf Augenhöhe diskutieren und zusammen später Küchenarbeit machen. Die Kirche solle sich für neue Arbeitsmodelle und die Aufwertung der Freiwilligenarbeit stark machen. Dazu ist es notwendig, nicht geschlechterspezifisch, sondern mit allen zu denken. Schutzbach forderte eine Emanzipationsbewegung der Männer, da diese auch unter dem Patriachat leiden. Frauen haben sich in den letzten Jahrzehnten massiv verändert. Antikategorien waren wichtig, heute brauchen wir Komplizenschaft.
Nach der Mittagspause griff Kerstin Bonk in «An-ge-dacht» ihre Erfahrungen als Pfarrehepaar in einem ländlichen Gebiet auf. Sie kam an ihre Grenzen zwischen Job und Familienleben, auch aufgrund von Erwartungen an sie. Sie schlug abschliessend vor, das Motto «Sie laufen und werden nicht müde» zu erweitern: Wofür laufen wir und wohin? Gemeinden sollten sich um Menschen kümmern, damit alle in gutem Rhythmus leben können, zwischen Rennen und Rasten.
In einer Gruppenphase diskutierten die Teilnehmenden anschliessend nach Berufsgruppen unterteilt. Die Angestellten der Kirchgemeinden bestätigten in der Kirche tradierte und wirkmächtige Erwartungen: Von Frauen werde Care-, Putz- und Freiwilligenarbeit verlangt. Die Macht- und Ressourcenverteilung geht auch nach Vorurteilen. Lösungsansätze sah die Gruppe in geteilten Leitungsposition, dem Gleichstellungskampf mit den Männern und dem Recht, Aufgaben auch mal abzulehnen. Die Gruppe Organisationen stimmte zu: Man sollte Teilzeit einfordern und mutig der Vorstellung der guten Frau widersprechen. Auch Kirche muss sich der Frage stellen: Was ist denn ein erfolgreiches Leben? Die Gruppe der Kirchenrätinnen sprach sich für Vernetzung und Weiterbildung aus: das Wissen holen, das einen selbst entlastet. Ausserdem helfe es, Scheitern zu akzeptieren und da weiterzumachen, wo etwas funktioniert.
Mit ihrem Impuls «Erschöpfung der Kirche – Wider die Verfügbarkeit» schloss Miriam Neubert den inhaltlichen Teil der Tagung ab. Ist auch die Kirche eine erschöpfte Organisation? Neubert benannte die derzeitigen Trends: Nachwuchsmangel in kirchlichen Berufen, Mitgliederschwund, Alterung, Bedeutungsverlust, angespannte Finanzen. Dem entgegnet die Kirche mit Leitbildprozessen, Reorganisationen und auch Professionalisierung, Aufbau neuer Angebote und Strukturen neben schon Bestehendem (grosser Workload und Stress). Dies führt zu einem grossen Verwaltungsaufwand und vermehrtem Einsatz von Kirchenfernen.
Mit dem Bild eines Esels, der von einem Wagen in die Höhe gezogen wird, vermittelte die Referentin, dass auch Organisationen ein Burnout erleiden können. Der Sinn der Arbeit wird nicht mehr gesehen, die Produktivität nimmt ab, Menschen ziehen sich zurück oder verlieren sich in Details. Hoffnungslosigkeit und Machtlosigkeit machen sich breit. Energiefallen sind eingefahrene Verhaltensmuster, sich selbst untergraben und Beschleunigung durch zu hohe Ziele. In der Logik von Kirche-sein steckten immer zwei Pole: Gott leitet Kirche, aber Menschen geben ihr Gestalt. Der Glaube ist unverfügbar, soll aber weitergeben werden. Die Erwartungen an Ortsgemeinden, die uns prägen, sind im Wandel. Von der religiösen Grundversorgung, über die persönlichen Beziehungen bis hin zur Kirche in Bewegung, die sich über gemeinsame Interesse konstituiert. Das Evangelium zu verkünden sei keine Frage von Quantität, so Neubert abschliessend. Im Sinne von U. Pohl-Patalong erinnerte sie daran, das menschlich Machbare zu tun, damit Menschen vom Evangelium erreicht werden.