Mehr als die Hälfte der weltweiten Flüchtlinge sind Kinder. Ein grosser Teil von ihnen ist ohne Eltern oder Verwandte unterwegs oder wurde während der Flucht von ihnen getrennt. Mehr als 5,6 Millionen Syrerinnen und Syrer, darunter über 2,5 Millionen Kinder, mussten ihre Heimat verlassen und sind in Jordanien, im Libanon, Ägypten, dem Irak und der Türkei als Flüchtlinge registriert. Weitere 6,2 Millionen Syrerinnen und Syrer leben als Vertriebene im eigenen Land. Gemäss UNICEF benötigen dort 60% der Kinder humanitäre Hilfe, zwei Millionen Kinder können keine Schule besuchen und 3,3 Millionen Kinder sind der ständigen Gefahr durch Minen ausgesetzt.
Kinder sind die Zukunft der menschlichen Gemeinschaft und stehen unter besonderem Schutz. Auf der Flucht verlieren Kinder beides: ihren privilegierten Schutzstatus und ihre Aussicht auf eine Zukunft, die die ihrige ist und von ihnen geprägt sein wird. Die prekären Lebensverhältnisse machen die Flüchtlingskinder zu einer verlorenen Generation. Mit den Kindern verlieren die Länder, aus denen sie fliehen mussten, ihre eigene Zukunft. Von unserem Umgang mit den Flüchtlingskindern hängt es ab, ob ihre Herkunftsländer ihnen zukünftig wieder zur Heimat werden können. Denn die Kinder sind das einzige Fundament, auf das die Krisenregionen von heute ihre Hoffnung auf ein friedliches und menschenwürdiges Morgen bauen können.
Im eklatanten Gegensatz dazu steht der Umgang mit Flüchtlingskindern. Viele Kinder, die zwischen 2017 und 2019 unbegleitet oder von ihren Angehörigen getrennt über das Mittelmeer nach Europa kamen, wurden nach Libyen ausgeschafft und dort unter schrecklichen Bedingungen inhaftiert. In Flüchtlingslagern und in den europäischen Aufnahmezentren wird selten zwischen Kindern und Erwachsenen unterschieden. So sind Kinder der Gewalt und dem Missbrauch von Erwachsenen ebenso hilflos ausgeliefert wie den Behörden und einer Bürokratie, die auf die besondere Bedürftigkeit von Kindern nur unzureichend oder keine Rücksicht nehmen.
Die christlichen Kirchen und die jüdische Gemeinschaft in der Schweiz appellieren an Politik und Recht, die Empfehlungen des UNHCR umzusetzen und einzuhalten. Im Vordergrund stehen 1. die angemessene Unterbringung von Kindern in den Aufnahmelagern; 2. keine Einwanderungshaft für Kinder; 3. vollumfängliche Information der Kinder in ihrer Sprache und auf ihrem Niveau; 4. individuelle Unterstützung von unbegleiteten und getrennten Kindern durch qualifiziertes Fachpersonal; 5. Ermöglichung eines konstruktiven Zugangs zur Bildung; 6. Beschleunigung der Zusammenführung mit Familienmitgliedern.
In den jüdischen und christlichen Schriften begegnen uns Kinder als Segen Gottes. Diese Auszeichnung, die allen Kindern gilt, mahnt uns daran, was wir ihnen schulden. Kinder sind stets die unschuldigsten und schwächsten Opfer menschlichen Unfriedens und menschlicher Gewalt. Ihre Schicksale sind die Seismographen unserer Zukunft. Unsere eigenen Lebensaussichten hängen von den Lebenshoffnungen der Kinder ab, mit denen Gott uns gesegnet hat.
Esther Gaillard
Vizepräsidentin Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz EKS
Bischof Dr. Felix Gmür
Präsident Schweizer Bischofskonferenz SBK
Bischof Dr. Harald Rein
Christkatholische Kirche der Schweiz CKS
Dr. Herbert Winter, Präsident
Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund SIG