Im Bereich der Unterbringung und Betreuung leisten die Kirchen und der Verband Schweizerischer Jüdischer Fürsorgen VSJF seit Jahrzehnten einen unverzichtbaren Beitrag nicht nur für die betroffenen Personen, sondern auch für Staat und Gesellschaft. Insofern begrüssen sie, dass der Beitrag der Seelsorge zur Verbesserung und Förderung des Zusammenlebens vom Bund anerkannt wird. Die vorgeschlagenen Änderungen des Asylgesetzes (AsylG) betreffen indes hauptsächlich betriebliche sowie Sicherheitsaspekte in den Zentren des Bundes. Dass auch die Seelsorge unter diesen Aspekten neu geregelt werden soll, erachten die Kirchen und der VSJF als höchst problematisch. Sie wehren sich insbesondere dagegen, dass der Staat die Seelsorge in Bundesasylzentren via Gesetzesartikel als Bundesaufgabe definieren und sie Dritten übertragen will: Bei der Seelsorge handelt es sich um einen Dienst, den Kirchen und weitere Religionsgemeinschaften erbringen, und nicht um eine Verwaltungsaufgabe (Art. 178 BV). Angelegenheiten, die das Grundrecht der Religionsfreiheit (Art. 15 BV) betreffen, können grundsätzlich nicht von einer staatlichen Behörde geregelt oder an von dieser eingesetzte Dritte übertragen werden.
Seelsorge ist keine staatliche Aufgabe
Diese klare strukturelle Trennung von den staatlichen Aufgaben ist entscheidend für das Vertrauensverhältnis, auf dem Seelsorge beruht, ja: beruhen muss. Menschen, deren Leben aus allen verlässlichen Ordnungen gefallen ist, die innere Orientierungslosigkeit und Desintegration erleiden, können sich Seelsorgenden nur dann anvertrauen, wenn sie diese als von der Institution unabhängige Personen wahrnehmen. Darum darf die Funktion der Seelsorge nicht dem Zweck der «Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung in den Zentren des Bundes» (Art. 25c Abs. 2 AsylG) zugeordnet werden. Seelsorge kann zwar sehr wohl dazu beitragen, Konflikte in Bundesasylzentren für Asylsuchende zu entschärfen. Das setzt aber voraus, dass sie eben gerade nicht als verlängerter Arm der staatlichen Institutionen wahrgenommen wird. Die in der Revisionsvorlage vorgesehene funktionale Zuordnung kollidiert aus Sicht der Kirchen und des VSJF fundamental mit dem seelsorgerlichen Auftrag und dem Selbstverständnis der Seelsorge. Jede Person soll sich einer Seelsorgerin oder einem Seelsorger anvertrauen dürfen: Dieses Recht ist durch die Glaubens- und Gewissensfreiheit verfassungsrechtlich geschützt. Es ist nicht massgebend, ob Seelsorge in Bundesasylzentren wegen ihrer konfliktpräventiven Wirkung zugelassen ist.
Ungeeignete Finanzierungsregelung
Die vorgeschlagene Regelung des Gesetzgebers, den Anspruch auf Entgelt seelsorglicher Leistungen durch den Bund nur jenen Religionsgemeinschaften vorzubehalten, die über keine Einnahmen aus «Kirchensteuern» verfügen, lehnen die Kirchen und der VSJF ebenfalls entschieden ab. Sie stellen sich gegen die Einführung einer kategorischen Ungleichbehandlung der Religionsgemeinschaften durch den Bund. Für die vom Gesetzgeber als Begründung angeführte Vermutung einer «Doppelfinanzierung» durch den Staat sind sowohl die Voraussetzungen als auch die daraus abgeleiteten Konsequenzen unzutreffend. Der Gesetzgeber verkennt dabei die äusserst heterogene Ausgestaltung der kantonalen Kirchensteuersysteme und trägt den sehr unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten der öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften keine Rechnung. Nicht zuletzt griffe eine bundesrechtliche Finanzierungsregel in die staatskirchen- und religionsrechtliche Hoheit der Kantone ein und würde die staatliche Pflicht zu religiöser Neutralität verletzen.
Neuer Artikel zur Seelsorge
Die Kirchen und der VSJF schlagen aus diesen Gründen vor, das Asylgesetz anstelle der vorgeschlagenen Änderungen mit einem neuen, seelsorgespezifischen Artikel 25cbis zu ergänzen. Die Seelsorge soll dabei aus ihrer ungeeigneten rechtssystematischen Verortung unter dem Aspekt von Sicherheit und Ordnung herausgelöst und in den sachlich richtigen Bezugsrahmen des Rechts auf Religionsfreiheit gestellt werden. Der Artikel sieht vor, dass das SEM die Religionsgemeinschaften zur Verwirklichung dieser Rechte bei der Bereitstellung seelsorglicher Beratung und Betreuung unterstützt. Damit erfüllt er auch die gesetzgeberische Zielsetzung einer finanziellen Unterstützungsmöglichkeit für die Seelsorge. Eine allfällige Finanzierung durch den Bund soll jedoch auf tieferer Regulierungsstufe geregelt werden. Ausschlaggebend dafür sollte gemäss den Kirchen und dem VSJF die Erfüllung bestimmter Qualitätskriterien der Seelsorge sein, wobei die Kirchen und Religionsgemeinschaften selber für die Einhaltung der entsprechenden Standards verantwortlich sind. Die Entschädigung soll den sehr unterschiedlichen finanziellen Verhältnissen der Religionsgemeinschaften Rechnung tragen. Die Kirchen und der VSJF erklären sich dazu bereit, an entsprechenden Lösungen mitzuarbeiten.