Kirchliche Situation in der Ukraine
Ökumenische Situation
Der Moskauer Patriarch Kyrill hat bis heute den Krieg nicht als solchen benannt und auch nicht verurteilt. Hingegen hat der Metropolit der Ukrainisch-orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat) den Krieg sehr klar verurteilt, ebenso wie auch die Orthodoxe Kirche der Ukraine und alle anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Ukraine.
Der ÖRK wandte sich am 2. März an Patriarch Kyrill und forderte ihn auf, bei Präsident Putin zu intervenieren. In seiner Antwort vom 10. März machte Patriarch Kyrill Kräfte ausserhalb Russlands und der Ukraine für den Konflikt verantwortlich, nämlich die NATO, die ihr Versprechen betreffend der Osterweiterung gebrochen habe. Dieselben Kräfte hätten laut diesem seither versucht, das russische und das ukrainische Volk zu spalten, wie das Beispiel des Donbass zeige, und seien dabei indirekt vom Patriarchat von Konstantinopel unterstützt worden, als es 2018 die Unabhängigkeit der ukrainisch-orthodoxen Kirche anerkannte. In seiner Antwort bestätigte der Patriarch zwar die Verbindung zwischen der Russischen Orthodoxen Kirche und dem ÖRK, hielt aber an der Vision eines grossen, vereinten, russischen und christlichen Volkes fest, das durch die Taufe von Grossfürst Wladimir in Kiew im 9. Jahrhundert begründet wurde.
Einzig die Russische Orthodoxe Kirche – Moskauer Patriarchat ROK-MP ist im Ökumenischen Rat der Kirchen ÖRK vertreten. Die ROK ist die grösste autokephale orthodoxe Kirche (ca. 100 Millionen Mitglieder) und sehr divers. Etwa ein Drittel ihrer Mitglieder lebt in der Ukraine. Zu ihrem kanonischen Territorium zählt nach eigenem Verständnis das Gebiet der ehemaligen UdSSR (mit Ausnahme von Georgien und Armenien), also auch Belarus, Moldawien, Kasachstan und die baltischen Staaten. Die politischen Grenzen der Länder haben sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert, aber nicht jene der ROK. Bis 1991 gab es nur eine Orthodoxe Kirche in der Ukraine. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 bestand der Wunsch, dass – gemäss orthodoxer Tradition – eine nationale Orthodoxe Kirche in der Ukraine entsteht. Ein Teil des ukrainischen Klerus spaltete sich vom Moskauer Patriarchat ab und nannte sich Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats. Sie erklärte sich zu einer selbständigen Kirche. Diese wurde aber von anderen orthodoxen Kirchen nicht anerkannt, bis das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel ihr 2019 die Autokephalie verlieh, ohne ordentliche Konsultation der anderen autokephalen Kirchen. Nur eine Minderheit der autokephalen Kirchen hat die neue Kirche bisher anerkannt. Dies ist auch Ausdruck des langjährigen Streits zwischen Moskau und Konstantinopel bezüglich des Ehrenprimats innerhalb der orthodoxen Kirchenhierarchie.
Als Folge davon beendete die ROK 2019 die Kirchengemeinschaft mit dem Patriarchat von Konstantinopel und den drei anderen Kirchen, die die OKU anerkennen. Es gibt keine Zusammenarbeit mehr zwischen ihnen, auch kein gegenseitiges Fürbittgebet, was einem Schisma gleichkommt. Als Gegenmassnahme schuf die ROK-MP Ende 2021 ein Exarchat für Afrika (auf dem kanonischen Gebiet des Patriarchats von Alexandrien) mit zwei Eparchien (Diözesen).
Es gibt inzwischen zahlreiche Priester und Bischöfe der UOK-MP, die den Moskauer Patriarchen im Hochgebet nicht mehr nennen, was nach orthodoxer Auffassung einer Aufkündigung der kirchlichen Gemeinschaft gleich kommt. Ebenso mehren sich die orthodoxen Stimmen, die Patriarch Kirill um Intervention bitten bzw. sein Schweigen verurteilen.
An einem Konzil hat die Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK) Änderungen und Ergänzungen an ihrem Statut vorgenommen, «welche die volle Unabhängigkeit und Autonomie der UOK bezeugen». Die Erklärung des Konzils vom 27. Mai vermeidet das Wort «Autokephalie» und lässt Interpretationsspielraum bei der Deutung der Formulierungen. Deutlich ist jedoch eine klare Distanzierung zum Moskauer Patriarchat: «Wir stimmen nicht mit der Position des Patriarchen Kirill von Moskau und der ganzen Rus zum Krieg in der Ukraine überein», heisst es im dritten Punkt der Erklärung. In Reaktion auf das Konzil der UOK hat sich der Hl. Synod der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) am 29. Mai zu einer Sondersitzung getroffen. Die vom Konzil der UOK angenommenen Ergänzungen und Veränderungen ihres Statuts müssten erst studiert und auf ihre Übereinstimmung mit dem am 27. Oktober 1990 von Patriarch Alexij II. gewährten Status geprüft werden. Innerhalb der UOK gibt es Widerstand gegen das neue Statut. Die drei Eparchien der Krim baten den Hl. Synod der ROK darum, dass ihre Eparchien direkt dem Moskauer Patriarchen und dem Hl. Synod unterstellt würden. Die Metropoliten der Eparchien von Luhansk, Donezk, Rovensky und Zaporizhzhja kritisierten ebenfalls die Entscheidungen des Konzils.
An seiner Sitzung vom 7. Juni 2022 hat der Hl. Synod der ROK Metropolit Hilarion (Alfejev) von seinem Posten als Leiter des Aussenamts des Moskauer Patriarchats abberufen und ernannten diesen zum Metropoliten von Budapest und Ungarn. Zugleich entband er ihn von seiner ständigen Mitgliedschaft im Hl. Synod und seiner Funktion als Rektor der kirchlichen Postgraduiertenschule des Hl. Kirill und Method. Neuer Leiter des Aussenamts wird Metropolit Antonij (Sevrjuk), die Amtsübergabe fand
am 10. Juni statt.
Quelle und weitere Infos: https://www.g2w.eu/ oder https://noek.info/nachrichten/
Nachrichtendienst Östliche Kirchen NÖK
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» Russian Orthodox Church – Moscow Patriarchate
» The Russian Orthodox Church – Department for External Church Relations
» L’ukraine et la fracture du monde orthodoxe (Quelle: IREL)
Podium der Evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz
«Was die Kirche mit dem Ukrainekrieg zu tun hat»
Am Podium vom 29. November 2022 wurde die Rolle der Orthodoxen Kirche im Krieg diskutiert. Moderator Serge Fornerod spricht rückblickend von einer «unglaublichen Komplexität dieser kirchlichen Situation vor Ort», einer sehr langen Vorgeschichte und unzähligen Akteuren. Auch wenn durch die Medien der Eindruck von zwei Lagern entstanden sein mag, welche Gut und Böse zugeordnet können, sei die Lage komplizierter, sagt er.