Ein Podium für die Anliegen der Zivilgesellschaft
Das Open Forum Davos 2003–2012
«Das Open Forum ist ein Lehrstück für den demokratischen Dialog, welcher die schweizerische Kultur prägt. […] Verantwortung lässt sich nicht delegieren und es gibt keine Lösung der grossen Probleme über die Köpfe der Menschen hinweg.»
Thomas Wipf, 1999–2010 Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes
Am Anfang standen die zunehmend gewalttätigen Proteste globalisierungskritischer Gruppen gegen das World Economic Forum in Davos. Sie nötigten die Organisatoren – mit dem offiziellen Wording, nach 9/11 ein Zeichen der Solidarität setzen zu wollen – im Jahr 2002, nach New York auszuweichen. Um im Folgejahr nach Davos zurückkehren zu können, sollte für die wachsende kritische Öffentlichkeit ein institutionalisierter Ort für die kontroversen Debatten ausserhalb des globalen Meetings geschaffen werden. Der Protest auf der Strasse sollte ein öffentlich zugängliches Podium für den Dialog zwischen Teilnehmenden, Kritikerinnen und Kritikern des WEF erhalten. Anlässlich einer Zusammenkunft von religious leaders am Hauptsitz des WEF in Cologny, kamen Thomas Wipf und die WEF-Spitze nicht nur ins Gespräch, sondern in der Folge die Idee und Realisierung vom Open Forum Davos ins Rollen. Die 2003 parallel zum WEF durchgeführte Veranstaltungsreihe wurde ab 2004 als Kooperation zwischen WEF, Kirchenbund und Brot für alle organisiert und durchgeführt.
Aus der damaligen Perspektive kann der Mut des Kirchenbundes zu diesem Entschluss kaum hoch genug eingeschätzt werden. Wie die damaligen Ratsdiskussionen dokumentieren, wurde das Risiko sehr ernst genommen, den Protest vom WEF wegzunehmen und in die Kirchen hineinzutragen. Tatsächlich war dem Open Forum seit seiner ersten Austragung im Jahr 2003 die interne und externe kritische Begleitung so gewiss, wie das Amen in der Kirche. Aber im Gegensatz zum WEF gelang es dem Kirchenbund, diese Kontroversen konstruktiv in die innerkirchlichen und gesellschaftspolitischen Dialoge einzubinden. So wurde das Open Forum in doppelter Hinsicht zu einer Schule des demokratischen Streits um die besseren Antworten: einerseits als «‹living bridge› between the main Annual Meeting, critical NGOs and the local community» (WEF, Annual Report 2002/2003: Building trust, peace and reconciliation, 7) und andererseits als Impulsgeber für die innerkirchlichen Debatten über Auftrag, Positionierung und Praxis der Kirchen.
An den dreitägigen, parallel zum WEF stattfindenden Podien an der Alpinen Mittelschule in Davos waren kaum mehr als 2000 Gäste zugelassen. Durch die Live- oder verschobene Übertragung der meisten Veranstaltungen vom Schweizer Fernsehen und die nachträgliche Aufschaltung als Podcasts im Internet erfuhren die Debatten aber eine viel grössere Aufmerksamkeit und Verbreitung. Die Themen waren breit gestreut und reflektierten die jeweils aktuelle politische Weltlage und ihre drängendsten Herausforderungen. Ihre einzigartige Würze erhielten die Diskussionen durch das Zusammentreffen von nationalen und internationalen Persönlichkeiten aus Politik, Gesellschaft, Wissenschaft, Religion und Kultur. Gefördert wurde die Attraktivität noch durch den Glamour mancher Stars, wie Angelina Jolie, die bei ihrem Auftritt als Sonderbotschafterin des UNO-Flüchtlingshilfswerks UHNCR im Jahr 2006 gegen die Weigerung der USA, die UN-Kinderrechtskonvention zu unterzeichnen, wetterte. So fremd es Reformierten ist, sich von Hollywood-Grössen blenden zu lassen, so deutlich hat das Open Forum Davos gezeigt, dass die schweizerischen Reformierten nicht nur global Verantwortung übernehmen, sondern auch global wahrgenommen werden.
Zum Weiterlesen: Hella Hoppe/André Schneider, Lehrstück für den demokratischen Dialog. Geschichte und Perspektiven des Open Forum Davos: Thomas Flügge et al. (Hg.), Wo Gottes Wort ist. Die gesellschaftliche Relevanz von Kirche in der pluralen Welt. Festgabe für Thomas Wipf, Zürich 2010, 119–128; SEK, bulletin sek feps 1/2009: Sonderausgabe zum «Open Forum Davos 2009».