Prägende Persönlichkeiten des Kirchenbundes
Vordenker, Vielschreiber, Förderer
Sie haben den Kirchenbund durch ihre Gedanken und ihr Handeln geprägt, inspiriert und vorangebracht: In der Rubrik «Prägende Persönlichkeiten» finden Sie Kurzbiografien wichtiger SEK-Figuren aus den letzten 100 Jahren.
Adolf Keller, 1872–1963
Viel mehr als nur der erste Sekretär des Kirchenbundes
Über den Ökumeniker Adolf Keller, der die Geschicke des gerade gegründeten Kirchenbundes mitprägte, ist in den letzten Jahren viel geschrieben worden. Er widmete sich seinen Aufgaben mit viel Elan und war ein echter Kosmopolit.
- aus Rüdlingen SH
- Ökumeniker
- ab 1896 Hilfspfarrer in der deutsch-evangelischen Gemeinde in Kairo
- Pfarrer in Burg bei Stein am Rhein und in der Deutschschweizer Gemeinde in Genf
- Ab 1909 Pfarrer in der Gemeinde St. Peter in Zürich
- Spitzname Weltadolf, da er weit gereist war
- Die Schweizerische Kirchenkonferenz entsendete 1919 den weltgewandten Ökumeniker Adolf Keller an die Generalversammlung des Federal Council of the Churches in Christ in America in Cleveland. Eine enge Beziehung und Zusammenarbeit entstanden. Zurück in der Schweiz hatte Keller die Idee eines Bundes im Gepäck, um die Herausforderungen der Nachkriegszeit zu meistern.
- war erster Sekretär des Kirchenbundes von 1920–1941
- Der SEK sollte in Kellers Augen bei Interessenkonflikten Orientierung bieten, indem er auf verbindliche ökumenische Verpflichtungen hinweist.
- Leitete die europäische Zentralstelle für kirchliche Hilfsaktionen
- «Gott gab mir Zeit, Gesundheit und Stärke für all diese Arbeiten»
- Exklusives Interview mit Sohn Pierre Keller
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Lesetipps
Anlässlich seines 50. Todestages unterstützte der Kirchenbund 2013 das Symposium «Der Auftrag der Kirche» an der Uni Basel. In dem Tagungsband «Ökumene in Wahrheit und Liebe. Beiträge zu Werk und Leben des Schweizer Theologen Adolf Keller (1872–1963)», herausgegeben von Martin Hirzel und Martin Wallraff, kann man nachlesen, welche Rolle Keller für den Kirchenbund spielte.
Link zum VerlagUmfassende Biografie von Marianne Jehle-Wildberger «Adolf Keller (1872–1963) – Pionier der ökumenischen Bewegung»
John Jeffries V, 1890–1964
Der geheimnisvolle Gönner
Die Figur des Amerikaners John Jeffries ist mit Abstand die rätselhafteste in der Geschichte des Kirchenbundes. Der studierte Jurist und Bonvivant aus Boston vermachte 1964 durch sein Testament sein komplettes und umfangreiches Erbe dem SEK. So kam der Kirchenbund unverhofft zu grösseren finanziellen Mitteln, die den Kauf der heutigen Geschäftsstelle erst möglich machten.
Bis heute bleibt es im Dunkel der Geschichte, warum der der reiche Amerikaner sein Legat dem Kirchenbund hinterliess. Zeitlebens war Jeffries nie Mitglied einer Kirche gewesen, besuchte die Schweiz nur wenige Male. Er hinterlässt das Bild eines spirituell Suchenden mit grosszügigem Herzen. Um die Erbschaft zu transferieren, entsendete der Vorstand des Kirchenbundes 1964 den Rechtsanwalt Arthur Döbeli in die USA, der in Maine, Connecticut, Kalifornien und South Carolina auf Spurensuche ging. Sein Bericht von 1967 liest sich wie ein spannendes Reisebuch hin zum grossen unbekannten Wohltäter des SEK.
André Biéler, 1914–2006
- aus Naters
- Studierte Theologie in Genf und Basel
- Wirtschaftswissenschaftliche Dissertation über Calvins wirtschaftliches und soziales Denken (1959), Grundlage seines sozialen Engagements
- 1964 wurde er anlässlich des 400. Todestages von Calvin eingeladen, an der Jahresversammlung des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes in Neuenburg zu predigen. Er übertrug Calvins Gedankengut in die Gegenwart und schlug vor, dass die Kirchen eine Reduzierung der Militärausgaben und mehr Hilfe für die Dritte Welt fordern sollten.
- Professor für Sozialethik an den Universitäten Lausanne und Genf (1967–1979)
- Delegierter des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes bei den Ökumenischen Weltkonferenz von 1966 und 1968
- Mitbegründer der «Erklärung von Bern» für Entwicklungshilfe (1968) mit Lukas Vischer und Max Geiger, seit 2016 Public Eye
- Die Unterzeichner der ersten «Erklärung von Bern» rief die die Schweizer Politik und Bürgerinnen und Bürger auf, die schweizerische Verantwortung gegenüber den ärmeren Ländern im globalen Süden wahrzunehmen. Sie forderten Entwicklungshilfe und gerechten Handel. Die ca. 10.000 Unterzeichner des Manifests verpflichteten sich, drei Prozent ihres Einkommens für eine Entwicklungsorganisation zu spenden.
- Er unterstützte die Gründung des ITE des Kirchenbundes.
- 1973 schrieb er ein kleines Buch mit dem Titel «Le Développement fou» (Die verrückte Entwicklung), in dem er die Menschheit mit einem in den Weltraum gestarteten Raumschiff verglich, das seine Ressourcen verschwendet.
- Biéler setzte sich für die Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen und gegen Folter ein.
- Während seines Lebens arbeitete er in 15 verschiedenen Pfarrämtern.
- Er wird als einer der führenden protestantischen Ethiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angesehen.
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Lesetipp
Buch «Chrétiens et socialistes avant Marx: Les origines du grand malentendu», [Christen und Sozialisten vor Marx : die Ursprünge des großen Mißverständnisses] Genf, Labor et Fides, 1981
Lukas Vischer, 1926–2008
- aus Basel
- Studium der Theologie in Basel
- Als reformierter Theologe wurde Lukas Vischer 1961 nach dem Studium in Basel, Strassburg, Göttingen und Oxford in den Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) nach Genf berufen. Dort wirkte als Direktor der Kommission Glaube und Kirchenverfassung (1966–1979) und verfolgte als Beobachter des Weltkirchenrates von 1962–1965 die Beratungen des Zweiten Vatikanischen Konzils in Rom. Die Ökumene wurde zu einem seiner zentralen Lebensthemen.
- Professor für ökumenische Theologie an der Universität Bern
- Mitbegründer der ökumenischen Arbeitsgemeinschaft OeKU Kirche und Umwelt (1986) und der Erklärung von Bern (1968)
- Mitinitiator der Leuenberger Konkordie
- Viele Reisen ermöglichten ihm weltweite Kontakte und Einblicke in oft schwierige Lebenssituationen von Christen und Kirchen.
- 1980–1992 Leiter der Arbeitsstelle Ökumene Schweiz (mit Büro im Kirchenbund)
- Der Geschäftsstelle des SEK angegliedert und doch eigenständig, bearbeitete diese Fachstelle Themen, die für den SEK im Prozess der innerevangelischen und ökumenischen Einheitsfindung bis heute aktuell sind. «Wachsende Kirchengemeinschaft», «Reformiertes Zeugnis heute», «Was bekennen die evangelischen Kirchen in der Schweiz?», oder «Christliches Zeugnis in einer pluralistischen Gesellschaft» sind nur einige Titel der Publikationen, die Vischer herausgab.
- gründete 1981 mit seiner Frau die Schweizer Sektion der Aktion der Christen für die Abschaffung der Folter (ACAT)
- Vischer war stark an der Arbeit des schweizerischen ökumenischen Komitees für Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung beteiligt
- Als Beobachter am Zweiten Vatikanischen Konzil 1962-65 in Rom vermittelte er zwischen katholischen Kirche und dem ÖRK. Unter seiner Ägide entstand im ÖRK die Konvergenzerklärung über Taufe, Eucharistie und Amt (Lima-Erklärung, 1982).
- Orthodoxie-Kommission des SEK
- Vischer war Initiant und Mitverfasser der ersten ökumenischen Kirchengeschichte der Schweiz (1994), die er als Versuch verstand, die Geschichte der Kirche und des christlichen Glaubens in der Schweiz als gemeinsame Vergangenheit zu begreifen.
- 1990–2008 Mitglied der AG Klimawandel des ÖRK
- Vischer war Vermittler zwischen kirchlichem Leben und wissenschaftlicher Forschung, zwischen lokaler und universaler Kirche
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Vischer über den Kirchenbund 1962
In seinem Buch «Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund – Bund oder Kirche?» stellte Lukas Vischer schon 1962 viele Ideen zu einer Weiterentwicklung des SEK vor (S. 37ff.):
- Der Wille zur Einheit unter den SEK-Mitgliedskirchen sollte in der Verfassung verankert werden. Im Blick auf Nicht-Mitgliedskirchen und Gemeinschaften, die zur Zusammenarbeit bereit sind, stellt sich die Frage einer Erweiterung des Kirchenbund zum «Nationalen Christenrat». Ein Kirchentag könnte das gemeinsame Bewusstsein von welschen und deutsch-schweizerischen Kirchen fördern.
- Es braucht eine theologische Besinnung über das evangelische Bekenntnis auf Schweizer Ebene.
- Der Kirchenbund muss als Instrument für grössere Einheit handeln können, z.B. für Interkommunion und für Richtlinien einer schweizerischen Verfassung.
- Wer von einer SEK-Mitgliedskirche als Pfarrer ordiniert wurde, sollte in der ganzen Schweiz wählbar sein. Die Zulassung von Frauen zum Pfarramt wäre gemeinsam zu regeln. Alle Schweizer Examen sollten von allen Schweizer Kirchen anerkannt werden, und unter den ökumenischen Partnerkirchen sollten Ämter gegenseitig anerkannt werden.
- Kirchliche Vereine und Gesellschaften sollten in die Kirche eingegliedert werden.
- Kirchenbund und Missionsrat sollten enger verbunden werden.
- Und schliesslich: Der Vorstand des Kirchenbunds sollte bessere personelle und finanzielle Voraussetzungen erhalten, damit er die grossen Aufgaben erfüllen kann, die ihm gestellt sind.
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Nachruf und Biografisches
Aus dem Nachruf des SEK 2008: «Lukas Vischer war ein von tiefer innerer Glaubensüberzeugung Bewegter und Bewegender, der auf seinem beruflichen und persönlichen Weg versuchte, die Zeichen der Zeit zu erkennen, kirchliche Gemeinschaft aufzubauen, Menschen zu motivieren und die Kirche zu einem glaubwürdigen Zeugnis in der Welt zu bewegen.»
Hans Ruh, geb. 1933
- aus Buch SH
- Sozialethiker
- Promotion bei Karl Barth (1963)
- Von 1963 bis 1965 Mitarbeiter der Gossner Mission in Ost-Berlin.
- Von 1965 bis 1983 Gründer und Leiter des «Institutes für Sozialethik» SEK
- Mit-Begründer der Erklärung von Bern
- 1970 Habilitation an der Universität Bern.
- 1971 bis 1983 ausserordentlicher Professor
- Zwischen 1983 und 1998 ordentlicher Professor an der Universität Zürich und Direktor des «Instituts für Sozialethik» in Zürich.
- Danach ethische Unternehmensberatung und Entwicklung von ethischen Finanzprodukten sowie umfangreiche Vortrags- und Publikationstätigkeit.
- Tritt für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein
Hans-Balz Peter, geb. 1941
- aus Zürich
- Studium der Wirtschaftswissenschaften, der politischen Ethik und der evangelischen Sozialethik.
- Promotion Dr. oec. publ. (Aussenwirtschaftspolitik und Entwicklungspolitik, Dissertation über Grundprobleme der Entwicklungsländer).
- Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialethik des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes SEK (ab 1971, mit Büro in Adliswil)
- 1983 bis 2004 Leiter des Instituts für Sozialethik SEK in Bern, von 2002 bis 2004 zusätzlich Leiter des Studienbereichs Theologie/Ethik des SEK.
- Zahlreiche Publikationen zu aktuellen Fragen der Sozialethik, besonders der Wirtschafts-, Entwicklungs-, Umwelt- und Politischen Ethik/Friedensethik.
- Seit 1984 Dozent, 1989 bis 2008 Professor an der Theologischen Fakultät in Bern für Sozialethik mit besonderer Berücksichtigung von Wirtschafts- und Entwicklungsfragen
- Mit-Gründer und 1988-2006 Vizepräsident, 2006–2012 Präsident von swisspeace/Schweizerische Friedensstiftung, Bern (seit 2012 Präsident des Unterstützungsvereins swisspeace).
- Peter betrachtete die Armut in Ländern der «Dritten Welt» im grösseren politischen Kontext. Entwicklung solle demnach global auf die Befreiung der Menschen zu ihrer vollen Entfaltung zielen, eine Forderung, welche in den 1960er Jahren herausgebildet wurde. Nicht Eigeninteresse, sondern Solidarität sollte das Hauptmotiv für Kooperationen mit Entwicklungsländern sein. Im Zentrum von Peters Schaffen standen entsprechend immer die Fragen nach der gesellschaftlichen Verantwortung der Kirche und daraus hervorgehenden Interventionsmöglichkeiten sowie die Kritik an den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern.
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Interview anlässlich der Pensionierung
Auszug aus dem SEK Bulletin Nr. 2
Interview anlässlich der Pensionierung von Hans-Balz Peter 2004Welche Themen haben Sie am Meisten beschäftigt?
Am Nachhaltigsten engagiert war ich in der wirtschaftlichen und sozialen Weltentwicklung sowie in der ökumenischen Konsultation. Das «Wort der Kirchen», das aus der ökumenischen Konsultation resultierte, ist ein starkes Wort, weil es eine differenzierte Orientierungshilfe in einer sehr komplexen Welt bietet. Neben vielen Wertbegriffen wie Frieden, Gerechtigkeit, Solidarität war mir einer besonders wichtig: jener der Partizipation. Hier kommt ein Spezifikum evangelischer Anthropologie und Ethik zur Geltung: das Recht und die Pflicht zu aktiver Teilnahme an dem, was in diesem Leben um mich herum passiert. Sich aktiv eingeben und nicht darauf warten, bis der Andere Verantwortung übernimmt. -
Lesetipps
Persönliche Erinnerung und Streiflichter aus 100 Jahren Sozialethik im SEK
Texte des Symposiums «Werte in die Praxis ziehen»
Mehr zur Geschichte des ISE «Ethik und Solidarität – 25-Jahr-Jubiläum des Instituts für Sozialethik»
Zur Geschichte und der Idee der Schweizerischen Friedensstiftung swisspeace (Seite 24f.)
Link